Leseprobe: Spiel, Rausch und Heilung

Dann stehe ich auf einmal wieder drin! Zwei Räume, getrennt durch eine große Theke und rechts und links davon je sechs Geldspielgeräte. Sofort ist mein Blick auf der Suche nach den „Merkur-Disk“ - Automaten. Ich bin noch nie in dieser Halle gewesen, aber es fühlt sich an wie ein Stück längst vermisste Heimat.

„Zehn Fünfer und einen Kaffee bitte!“ Die Worte kommen über meine Lippen, als ob ich sie erst gestern das letzte Mal ausgesprochen hätte.

Kurzzeitig ist da noch einmal ein bedrückendes, beängstigendes Gefühl. Am liebsten würde ich vor Verzweiflung laut aufschreien, um vielleicht doch noch rechtzeitig aus diesem Alptraum zu erwachen, als der erste Fünfer nach fast siebzehn Monaten über den Einwurfschlitz in die gut gefüllte Hauptkasse fällt und mir dadurch sofort wieder suggeriert wird, dass der Automat reif ist und nur noch von mir abgemolken werden muss. Und dann bin ich wieder voll drauf; die alten Mechanismen greifen wie eh und je nahtlos ineinander, und ich befinde mich augenblicklich unter Hochspannung; ich gehe ab wie die Berufsfeuerwehr! Jedes Risiko sofort wieder: „Sekt oder Selters – Alles oder Nichts!“ Als hätte ich niemals zuvor auch nur für einen Tag aufgehört.

Der Nachholbedarf ist enorm, und ich stehe regelrecht vor einem Orgasmus, als ich schon kurze Zeit später den ersten Disk auf hundert Sonderspiele gejagt und damit auch, zumindest fürs Erste, die letzten, noch negativ ausgerichteten Gedanken in mir verdrängt habe. Zwei Stunden später spiele ich alle sechs Geräte in einem der beiden Räume. Endlich habe ich freie Bahn und brauche nicht ständig um andere Spieler herum zu laufen, die mir sowieso nur auf die Nerven gegangen sind und im Wege saßen, wenn ich von Risiko zu Risiko gehechtet bin.

Die Spielsucht hat mich wieder voll im Griff!

– Verändere dich zum Guten hin und versuche, mit allen dir zur Verfügung stehenden Mitteln, dieses „Erste Spiel“ zu vermeiden. Es ist immer das „Erste Spiel“, das dich kaputt macht und am Ende ganz zerstört. –  Wie oft habe ich es selbst erlebt; wie oft von anderen gehört; und trotz allem habe ich keinerlei Lehren aus den ganzen Erfahrungen gezogen, sondern mich regelrecht mit Gewalt in diesen Rückfall hineinmanövriert. Jede mir gegebene Hilfestellung, jeden gut gemeinten Rat, jede sich mir entgegen gestreckte Hand habe ich regelrecht mit Füßen getreten. Nicht bereit, meinen Charakter auch nur um einen Deut zu verändern, sondern ständig den egozentrischen Großkotz spielend, stehe ich nun vor dem Ergebnis meiner bisherigen Selbsthilfeerfahrung.

Stunden später wache ich langsam auf. Die Nebelschwaden des sich monatelang aufgestauten Spielentzuges – durch meine wiederholten Spielhallenaufenthalte kräftig geschürt und angefacht –, die ein Erkennen der realen Brutalität eines Spielrückfalles abgeblockt, ummantelt und gedämpft haben, lösen sich nun langsam auf, nachdem der akute Drang nach dem Spiel, endlich wieder einmal befriedigt wurde.